· 

Die Faszinierende Delfinfrau von Tarifa

Das eigene Leben komplett auf den Kopf stellen ist eine Entscheidung, für die es viel Mut braucht. Und, wie im Fall von Katharina Heyer, echte Leidenschaft.

Ich höre von Katharina Heyer das erste Mal, als ich 2014 nach einer Wal- und Delfin Watching Tour in Südspanien google. Es ist mir wichtig, mit meiner Teilnahme an einer solchen Tour, die beeindruckenden Tiere nicht zusätzlich zu belasten oder zu gefährden. Da ist „firmm – Foundation for information and research on marine mammals“ genau das Richtige. Wale und Delfine sehen und dadurch eine Stiftung unterstützen, die sie beschützt. Ich recherchiere weiter und finde die Biografie einer faszinierenden Frau.

Sie ist heute fast 80 Jahre alt, was man ihr – dieses Kompliment muss sein – überhaupt nicht ansieht. Sie wirkt kraftvoll und stark, in ihren Augen sieht man diesen Glanz von Glück, Leidenschaft und Dankbarkeit, den man viel zu selten bei Leuten sieht. Vor 17 Jahren hat Katharina Heyer eine Entscheidung getroffen, die ihr Leben radikal veränderte. Und nicht nur ihres, sondern auch das der Meeressäuger an der Straße von Gibraltar. Auch bis dahin hatte sie schon ein bewegtes Leben. Aufgewachsen in Zürich, einer pulsierenden Metropole, in der der Kapitalismus tobt und sich alles um Banken dreht, studiert sie in den 60er Jahren um Auslandskorrespondentin zu werden. Reisen, die Welt entdecken, das ist genau ihr Ding. Sie ist ein freiheitsliebender Mensch, der sich nicht einschränken lassen möchte, was in den 60ern noch nicht so selbstverständlich ist wie heute.

Sie heiratet, bekommt zwei Söhne und muss die beiden nach einer Scheidung alleine groß ziehen. Eine alleinerziehende Mutter zu sein kann kräftezehrend sein, doch Katharina Heyer ist dem locker gewachsen. Mehr noch: Sie möchte auch beruflich erfolgreich sein und das wird sie auch. Sie hat einen Traumjob, einen, für den so manche über Feuer gehen würde: Sie ist Gründerin der Sono Handels AG, einem Importunternehmen für Lederwaren und Accessoires und Modedesignerin für Sporttaschen für LA Gear und Puma. Der Job bringt sie überall hin, sie führt ein Jet-Set Leben, wie es im Buche steht. Zwischen Los Angeles, Hongkong, Tokio und Zürich geht es immer wieder um den Globus. Events, Fotoshootings, Messen, Models, Stoffe, Designs, Kontakte, Netzwerke. Mit zwei Handys und einem vollen Terminkalender lernt sie die interessantesten Menschen, die Hautevolee aller Herren Länder kennen. In den Millionenstädten dieser Welt kann man so viel finden und sich selbst so leicht verlieren. Asien ist in den 90ern noch nicht das, was es heute ist. Es entwickelt sich gerade erst. Katharina Heyer hat das große Glück, den Spirit einer aufstrebenden Nation live zu verfolgen und noch die echten Kulturen kennenlernen. Und Los Angeles ist der Nabel der Welt zu dieser Zeit. Hollywood hat seine Faszination noch nicht verloren, Red Carpet Events, Topmodels, Beverly Hills 90210 und Neon-Klamotten. Wie aufregend, wie beeindruckend. Vielleicht kennt ihr das auch, ich jedenfalls kann mich gut einfühlen in das Leben. Es ist – glaube ich – ein Leben, das von aussen viel besser aussieht, als von innen. Es ist irgendwie heimatlos, alles dreht sich irgendwie zu schnell. Man kann kaum mithalten mit den anderen, mit den eigenen Gedanken und all den vielen Ideen und wichtigen Partys. Der berufliche Erfolg trägt einen eine Zeitlang auf Flügeln, aber dann… Dann wird es anstrengend, die oberflächlichen Bekanntschaften nerven, das ständige freundlich sein zu potenziell wichtigen Geschäftskontakten. Und auch die Familie kommt zu kurz. Katharina erkennt, dass das irgendwie nicht so ganz das ist, was sie wollte, dass dieses Leben eine Zeitlang genau das Richtige war. Aber dass sie das nicht für immer weitermachen möchte. Sie fühlt sich einfach nicht mehr zuhause, nicht mehr rundum wohl, es fühlt sich nicht mehr richtig an. Fast so, als würde etwas anderes sie rufen. Doch das weiß sie noch nicht. Eine Idee, was sie eigentlich will, hat sie nicht. Zu dieser Zeit, ist da nicht mehr, als ein Gedanke: Bin ich wirklich dazu berufen, Sporttaschen zu designen? Bin ich wirklich dazu berufen, Sporttaschen zu designen? Ein kleiner Gedanken, so liest man es immer wieder, kann riesig werden. Aus einer kleinen Idee können Welten entstehen. Ihr Mentor rät ihr mal eine Pause einzulegen und sie hört auf ihn. 1997 fliegt sie mit ihrer Familie ins wunderschöne Andalusien.

An Spaniens südlichstem Zipfel ist es immer warm und dort, in Tarifa, treffen Mittelmeer und Atlantik aufeinander. Breite Dünen, Surfer, Wellen, eine extrem entspannte Atmosphäre und man kann direkt auf Afrika blicken. Herrlich. Auf einer Bootsfahrt begegnet sie Grindwalen und Delfinen und das völlig unerwartet. Kein Ausflug zum Whale Watching, es steht nicht einmal im Reiseführer. Der Grund: Es interessiert keinen. Die Fischer finden die Tiere nicht spannend, weil man sie nicht essen kann und viel mehr Industrie gibt es noch nicht.

 

Es ist nicht mal nachgewiesen, dass die riesigen Tiere, die so groß wie Straßenbahnen werden, überhaupt in der Straße von Gibraltar leben. Keiner weiß wie viele es gibt, ob der enorme Schiffsverkehr ihren Lebensraum bedroht. Man weiß einfach nichts. Katharina Heyer hat schon in den Achtzigern tauchen kennenlernt und somit ein großes Herz für die Unterwasserwelt. Nur wer einmal die Welt von unten gesehen, kann das in seinem ganzen Ausmaß nachvollziehen. Sie informierte sich zunächst einmal über die Gefahren für die Tiere. Und die waren und sind erschreckend. Der Mensch, die Bestie, greift mit all seinen Schiffen massiv ein in das über Millionenjahre lang in perfekter Symbiose gewachsene Ökosystem unter Wasser. Unterwasserlärm, Chemikalien, Plastikmüll, radioaktive Abwässer, Überfischung, Beifang, Öl, Schleppnetze – die brutale Ausrottung der intelligenten, in Familien lebenden und freundlichen Wesen hatte längst begonnen. Viele von uns würden in dieser Situation Dinge sagen wie „Was soll ich denn da schon machen?“ oder auch „Da sollte mal einer was gegen tun“. Katharina Heyer ist welterfahren, ergriffen und bestürzt genug um zu wissen: Wenn ich nicht eingreifen, dann wird es keiner tun. Es dauerte nicht lange. Jedenfalls nicht so lange wie man vermuten würde, da war es entschieden: Den Sommer über würde sie in Tarifa leben und versuchen, ihren Beitrag dazu zu leisten, Wale und Delfine zu retten. Jetzt war sie die Fremde. Die Schweizerin, die kein Spanisch spricht, eine Frau auch noch und die will den Fischern das Fischen verbieten. Spanier sind störrische Menschen und vor knapp 20 Jahren, als sie die Stiftung gründet, ist Umweltschutz gar kein gutes Gesprächsthema. Zusammen mit Freunden renoviert sie eine alte Bar um ein kleines Büro einzurichten und fängt trotz aller Warnungen und allem Unverständnis an. Sie übersteht Anschläge auf ihr Boot, Anschuldigungen bei den Behörden, böse Nachreden und die ständige Angst, ob sie gegen Windmühlen kämpft. Wird das jemals irgendetwas ändern?

Gleichzeitig baut sie aber nach und nach eine Beziehung zu den Tieren und dem Meer auf. Zusammen mit dem Meeresbiologen Prof. Dr. David Senn von der Universität Basel, den sie kontaktiert und begeistern kann, beginnt sie, die Meerenge von Gibraltar zu erforschen. Sie sammelt etliche Daten über die Anzahl der Tiere, deren Familien, ihre Routen, ihre Gewohnheiten. Nach dem ersten Schiff, das sie für Touristenausflüge kauft, kommt schnell ein Zweites hinzu. Natürlich hat es einen faden Beigeschmack, mit Schiffen, die Treibstoff benötigen und Lärm verursachen, aufs Meer zu fahren und für die Ausflüge Geld zu verlangen. Aber: Firmm hat ein Motto: Man kann nur schützen, was man liebt. Die Strategie geht auf: Viele Touristen spenden zusätzlich zu ihrem Ausflugsbeitrag noch ein paar Euro in die Stiftungskasse.

 

2002 verkauft sie ihre alte Firma an ein Unternehmen aus Hongkong und investiert das neue Kapital in firmm. Information und Forschung sind die beiden Hauptzwecke der Stiftung, in die alle Einnahmen fließen: Vorträge halten und auch schon die ganz Jungen auf den Umweltschutz und den Zusammenhang von Fischerbooten und einem gesunden Planeten erklären. Wale und Delfine sind unglaublich intelligente Tiere – sie kann hunderte Beispielgeschichten dazu erzählen – und so tut es fast weh zu sehen, wie langsam ihr starker Kampf voran geht. Sie sammelt weiterhin Daten, klärt auf, kämpft und fährt täglich mit Touristen raus aufs Meer um ihre Lieblinge, ihre Inspiration, ihre Energiequelle zu besuchen. Der Nachname Heyer ist die entrundete Form von „Heuer“, was so viel bedeutet wie „schützen, pflegen“. Ist es also schon immer Katharinas Schicksal gewesen? War es ihr bestimmt, eines Tages einen so wichtigen Beitrag für die Erde zu leisten? Sicher ist: Es ist kein Beruf, sondern die oft beschriebene Berufung. Erfolg in ihrer Berufung bedeutet eben nicht nur ein Lob vom Chef, eine Gehaltserhöhung oder ein gut durchgeführtes Projekt. Erfolg bedeutet für sie gerettete Leben. Ich kann mich vor dem was sie bisher erreicht hat, nur verneigen. Danke an eine großartige Frau!

 

«Ich liebe die Wale; das ist klar. Und ich gehör hierher, ich gehör zu ihnen – ich möchte eigentlich gar niemals irgendwo anders sein.» Katharina Heyer (aus dem Film: ‘The Last Giants – Wenn das Meer stirbt’, 2009)

Alles über firmm und Informationen zur Buchung und Touren: https://www.firmm.org/de/

Katharina Heyer hat ein eigenes Buch geschrieben:

https://www.firmm.org/de/herzenssache


Die Stiftung firmm®

  • hat bislang rund 150 000 Gäste auf Touren über Wale und Delfine informiert
  • hat 2007 ein Tempolimit von 24 km/h in der Straße von Gibraltar bei dem spanischen Behörden erreicht
  • hat bisher rund 30’000 spanische Schüler über die Gefährdung der Meeressäuger aufgeklärt.
  • Hat erreicht, dass es nun Verhaltensregeln für ein respektvolles Whale Watching in der Straße von Gibraltar gibt, um die Tiere nicht zu stören. Seitdem machen die meisten Fährgesellschaften einen Umweg um das Gebiet, in dem z. B. die Pottwale zum Luftholen und Ruhen, an die Oberfläche kommen.
  • Hat eine geplante Fährlinie von Tarifa zum Hafen von Tanger (Marokko) verhindert!
  • hat in den letzten Jahren schätzungsweise 300 Vorträge in Hotels, an Schweizer und spanischen Schulen, vor Vereinen und anderen Organisationen gehalten.
  • Und vieles, vieles, vieles mehr!

Einige Fakten über die Ozeane und ihre Bewohner

  • Offiziell werden 350.000 Wale jährlich durch Netze getötet. Aneinander gereiht könnten diese die Erde mehrmals umspannen. Die Dunkelziffer liegt bei 1 Million.
  • Bereits sind weltweit 76 Prozent der gefangenen Fischarten entweder überfischt, bestan­desgefährdet oder sogar schon völlig abgefischt. So verhungern viele Giganten der Meere.
  • Etwa ein Fünftel der gesamten Meerfische wird illegal gefangen.
  • Der „ störende Beifang“ von Delfinen und anderen Meeressäugern beim Fischen beträgt
  • ca.60 – 80 Prozent, bei der Shrimp-Fischerei gar 90 Prozent.
  • Bis 2050 wird das Meer aller Voraussicht nach als Nahrungsquelle versiegen.
  • In jedem Kubikmeter Meer treiben ca. 18 000 Plastikpartikel. Dadurch sterben jährlich
  • über 100 000 Meeressäuger.
  • Fast alle 80 Walarten sind heute laut Greenpeace vom Aussterben bedroht.
  • Die Reichweite, über die Blauwale miteinander kommunizieren können, ist durch die erhöhte Lärmbelastung der Meere um 90 Prozent reduziert worden.
  • Seit Jahrmillionen existiert der Ozean. In nur einer Generation hat der Mensch große Teile
  • seiner Lebenswelt zerstört.
  • 70 Prozent unserer Erde sind von Meerwasser bedeckt.
  • 96 Prozent der Weltmeere leiden heute unter Vergiftung und Überfischung. Nur vier Pro­zent der Ozeane sind heute noch völlig intakt
  • Weniger als ein Prozent der Meere steht unter Naturschutz.
  • Für 5 Delfine im Delfinarium müssen 95 auf dem Transport oder in den ersten Monaten sterben

Kommentar schreiben

Kommentare: 0