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Mango, Mekong Delta und eine Zeitreise durch Vietnam

Um von der beliebten und fast überfüllten Touristeninsel Phu Quoc in das Mekong Delta zu kommen, fährt man zunächst mit der „Superdong“ Fähre etwa eine Stunde ans Festland. Es lohnt sich, einen warmen Pullover bei sich zu haben: Die Außentemperatur von gut 35 Grad wird in der Kabine mit gefühlten 16 Grad ausgeglichen. Ich werde nie verstehen, welchen Sinn das macht. An der Anlegestelle in Ha Tien am Festland ist nicht viel los, die Pauschaltouristen auf der Insel reisen normalerweise bequem mit Flugzeugen an. Entsprechend wenige Verbindungen für die Weiterreise gibt es und entsprechend spärlich ist auch das Angebot. Erkundigungen zu Supermärkten oder Imbissen in der Nähe stellt man hier vergeblich an, denn an diesem Ort spricht niemand englisch. Die Wartezeit kann man sich dennoch kulinarisch überbrücken: Ein kleiner Kiosk bietet drei Speisen zur Wahl: Baguette mit Ei, Baguette mit Ei und Wurst, Baguette mit Ei und Soja Soße. Spannender als die Vielfalt ist jedoch noch die Frage, wo die zierliche Inhaberin das Ei wohl zubereiten wird. Kein Herd weit und breit zu sehen. Jedenfalls nicht auf Hüfthöhe. Sie sitzt dann jedoch in der Hocke – es brutzelt am Fußboden. Die Herdplatte steht zu ihren Füßen. Zwei Minuten später ist das Baguette mit Ei fertig, Soja Soße wird darüber geleert, sie wickelt ein Stück Zeitung herum und befestigt es mit einem Haushaltsgummi am Brot. Es schmeckt nach Abenteuer. Und es fehlt Salz.

Der Reisebus ist nun da. Er hat etwas in die Jahre gekommene Sitze, ist nicht klimatisiert – einen Pullover benötigt man hier nicht. Und man darf rauchen. Eine ältere Frau steigt gebeugt zu, in der Hand hält sie eine große Tüte, die nach Fisch riecht. Sie leert die Tüte mit dem rohen Fisch auf dem Nebensitz aus und beginnt, die Fische auszunehmen. Vietnam ist sehr weit weg von zuhause. Die Landschaft wird mit jedem Kilometer grüner, vielfältiger. Auch bunter Plastikmüll am Straßenrand nimmt zu. Es ist atemberaubend schön, wenn sich Stille und Abgelegenheit mit kleinen Städtchen abwechseln. Der Bus hält am Rande von Chao Doc, dem Zielort. Wir werden gebeten, auszusteigen. Hier irgendwo im Nirgendwo ohne eine Idee, wo wir sind. Wenig später kommen Scooter angeflitzt, die uns nun in die Stadt mitnehmen. Die Kommunikation läuft mit Händen und Füßen und so schwer ist es ja auch nicht zu verstehen, wenn jemand gestikuliert, man solle auf den Scooter aufsteigen. So muss der große Bus keinen Umweg durch das Stadtzentrum fahren. Und als Fahrgast hat man einen abenteuerlichen Transfer. Scooter sind in Vietnam überall das Vehikel der Wahl. Mit ihnen kommt man schneller durch den dichten Verkehr, die Menschen transportieren alles mögliche darauf. Fensterscheiben, vier bis fünf Kleinkinder, ganze Badezimmer Einrichtungen. Laut dem vietnamesischen Verkehrsministerium gibt es 45 Millionen registrierte Scooter im Land, bei rund 95 Millionen Einwohnern.

 

Empfehlenswert und originell ist in Chao Doc ein Hausboot als Unterkunft. Auf großen Luxus muss man verzichten. Dafür sitzt man aber auf der Veranda direkt auf dem Mekong, dem 4.500 Kilometer langen Fluss. Die Stadt selbst ist größer als erwartet. Fast 160.000 Einwohner leben hier am Fluss und im Zentrum, es herrscht ein reges Treiben. Eine Straße zu überqueren erfordert Mut. Insgesamt leben im Mekong Delta rund 20 Millionen Menschen. Für sie alle ist der Mekong Bewässerungssystem, Abwasserkanal, Verkehrsnetz. An Venedig fühlt man sich dennoch nicht erinnert. Zu verworren die vielen Abzweigungen, Ströme, Kanäle. Zu unromantisch ist die gesamte Szenerie.

 

Zu den beliebtesten Ausflugszielen zählen die schwimmenden Märkte – das Fotomotiv schlechthin im Mekong Delta. Das Boot wird langsamer, bis es schließlich ganz stoppt und neben dem Ausflugsboot anhalten kann. Eine junge Frau mit spitzem Kegelhut, Nón lá genannt, greift eine Mango und schneidet sie auf um sie zu präsentieren. Die Touristen im Longtailboot sind entzückt, halten den Moment auf der Kamera fest, kaufen Mangos und Pomelos. Im Zentrum des Geschehens wiederholt sich der Vorgang einige Male: Kleine Boote mit unterschiedlichen Waren, meistens Früchte, halten an, bieten ihre Ware den vorbeifahrenden Touristen an und fahren wieder weiter. Viele Touristen sind es nicht, das Mekong Delta ist noch nicht als Hot Spot erobert. Die Händler leben auf ihren Booten und während die einen ihre Waren anbieten, waschen die anderen ihre Wäsche, kochen, essen, spülen das Geschirr im Fluss. Man befindet sich in einem Land vor unserer Zeit. Weit weg von übertriebener Konsumorientierung, weit weg von Luxusproblemen. Der Mekong ist gesäumt von auf Stelzen gebauten Blechhütten, in denen die Einwohner ihren Tag verbringen. Der Fluss ist nicht im besten Zustand: Unmengen Müll liegen am Ufer, unter den Häusern, schwimmen auf dem Wasser. Es ist nicht der Ort, an dem man überall die Kinder lachen hört. Und dennoch hat es was von Frieden. Von Ursprünglichkeit. Ein Ort, den es sich zu sehen lohnt, weil es so anders ist, als alles, was man kennt. Das Mekong Delta bietet zahlreiche Ausflugsmöglichkeiten. Von Mangrovenfahrten über Museen, Nachtmärkte, Fischfarmen, Malls, Tempel und vieles mehr. Doch es lohnt sich, in Chao Doc zu beginnen. Hier ist Vietnam so real wie es nur sein kann. Sogar die Luft riecht nach einer Mischung aus Vergangenheit und Zukunft. Auf der Veranda des Hausbootes sitze ich gemütlich mit dem Blick auf den großen Fluss und genieße dabei köstliche Mango.

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